ZurückTerpene auf dem Vormarsch: Wie sie die Wirkung von Cannabis beeinflussen
18.11.2024
In den letzten Jahren hat sich Cannabis vom einstigen Tabuthema zu einem Forschungsgebiet voller Möglichkeiten entwickelt – und mit dem wachsenden Wissen über die Pflanze nimmt auch das Interesse an der Palette von Inhaltsstoffen zu, die dieser ihre einzigartigen Eigenschaften verleihen. Cannabiskonsumenten achten zwar in der Regel vor allem auf Cannabinoide wie THC und CBD, doch auch die Terpene spielen eine entscheidende Rolle, denn sie sind nicht nur für das Geschmacks- und Duftprofil einer Sorte verantwortlich, sondern beeinflussen auch deren Wirkung und damit unsere Konsumerfahrung.
Terpene sind aromatische organische Verbindungen, die in einer Vielzahl von Planzenarten – unter anderem natürlich Marihuana – vorkommen und für die charakteristischen Duft- und Geschmacksnoten der verschiedenen Sorten verantwortlich sind. Sie werden in den sogenannten Trichomen gebildet, denselben Drüsen, die auch die Cannabinoide produzieren, und haben wichtige evolutionäre Funktionen, wie beispielsweise das Abwehren von Fressfeinden oder das Anlocken von Bestäubern. Das Geschmacks- und Duftprofil einer Cannabissorte wird von ihrer Kombination an unterschiedlichen Terpenen bestimmt. Jedes Terpen hat seinen ganz eigenen Geschmack und Duft, von zitronig und fruchtig bis hin zu erdig oder moschusartig. Bislang sind über hundert Terpene der Cannabispflanze identifiziert, darunter als wohl bekannteste und meistverbreitete Vertreter Myrcen, Limonen, Pinen, Caryophyllen oder Linalool. Der Einfluss der Stoffe geht jedoch weit über den Geruchs- und Geschmackssinn hinaus, denn sie spielen auch eine entscheidende Rolle bei der Art und Weise, wie Cannabis mit unserem Körper zusammenwirkt.
Terpene und der sogenannte „Entourage-Effekt“
Forschungen legen nahe, dass Terpene eine starke therapeutische Wirkung haben können. Sie sollen beispielsweise entzündungshemmende, angstlösende und schmerzstillende Eigenschaften besitzen. Zudem laufen auch Studien darüber, ob Terpene die Effekte von THC und anderen Cannabinoiden verstärken oder verändern können – ein Phänomen, das als „Entourage-Effekt“ bekannt ist. Diese Theorie besagt, dass die verschiedenen Inhaltsstoffe der Pflanze (Cannabinoide, Terpene, Flavonoide...) synergetisch zusammenarbeiten und ihre Eigenschaften gegenseitig verstärken, sodass ihre Effekte umfassender sind als die eines einzelnen Inhaltsstoffes. Dieses Zusammenspiel kann die Rauscherfahrung des Cannabisgenusses verbessern und unter anderem für ein komplexeres Geschmacksprofil und potenziell stärkere Effekte sorgen. Der Zusammenhang zwischen den Terpenen und dem Entourage-Effekt ist ein Gebiet, auf dem gerade aktiv geforscht wird. Dies zeigt unter anderem eine in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlichte Studie. In der Universität von Arizona hatte man mehrere Terpene überprüft und untersucht, ob sie wie CB1 und CB2 die Endocannabinoid-Rezeptoren aktivieren können. So wurde bestätigt, dass Terpene in der Tat „cannabimimetisch“ agieren, d. h. zum Teil ähnliche Effekte wie die Cannabinoide erzeugen können. Terpene haben selbst keinen psychoaktiven Effekt, aber die erwähnte Modulationsfähigkeit würde beispielsweise erklären, warum zwei Pflanzen mit dem gleichen CBD- und THC-Gehalt entgegengesetzte Wirkungen haben können – und narkotisch und entspannend wirken wie für Indica-Sorten charakteristisch oder anregend und zerebral wie Sativas. Es gibt hunderte von Terpenen und Cannabinoiden, und jede Cannabispflanze weist eine einmalige Kombination von ihnen auf. Genau das macht eine Sorte einzigartig und führt dazu, warum diese auf eine Person eine bestimmte Wirkung und auf einen anderen Konsumenten eine andere Wirkung ausüben kann. Wenn du einen beruhigenden Indica-Effekt verspürst oder im Gegenteil die Sativa-typische geistige Klarheit, dann bemerkst du tatsächlich das Zusammenspiel zwischen dieser Mischung aus allen Cannabis-Inhaltsstoffen und der Chemie und Physiologie deines eigenen Körpers.
Wichtige Eigenschaften der Terpene
Die Verbindungen haben so einiges an Eigenschaften. Beta-Caryophyllen beispielsweise, das häufigste Sesquiterpen in der Cannabispflanze, kann mit dem Endocannabinoid-System unseres Körpers interagieren, genauer gesagt mit den im Nervensystem und in den Abwehrzellen sitzenden CB2-Rezeptoren. Diesem Zusammenwirken könnte das Terpen seine entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkung verdanken. Ein weiteres Beispiel ist das Monoterpen Pinen. Getreu seinem Namen hat es einen frischen Tannenduft und kann erwiesenermaßen auch die Erinnerungsschwäche lindern, die häufig mit THC einhergeht. Myrcen wiederum hilft dem THC, die Blut-Hirn-Schranke leichter zu überwinden und verbessert so dessen psychoaktive Wirkung. Limonen hingegen sorgt nicht nur für einen starken Zitrusgeschmack, sondern auch für einen stimulierten Geist, da es den Serotonin- und Dopaminspiegel erhöht. Zudem kann es auch zur Aufnahme von anderen Terpenen und Cannabinoiden über die Haut und die Körpergewebe beitragen und ist deshalb ein entscheidender Inhaltsstoff von topischen Cannabis-Produkten.
Zukunft der Terpene im medizinischen Bereich
Besagtes Limonen wurde erst kürzlich zum Protagonisten einer Studie, die die Rolle der Terpene bei der Modulation der von den Cannabinoiden erzeugten Effekte bestätigte. Die Untersuchung ist in der Fachzeitschrift Drug and Alcohol Dependence veröffentlicht und wurde von Forschern der medizinischen Fakultät der Universität Johns Hopkins und des Anschutz Medical Campus der Universität von Colorado durchgeführt. Die vom National Institute on Drug Abuse (NIDA) finanzierte Studie ergab, dass Limonen die durch THC ausgelösten Angstgefühle vermindern kann. Wird nur THC allein verabreicht, steigert dies die Angstzustände und typischen kognitiven Effekte sowie physischen Nebenwirkungen (trockener Mund, rote Augen...), die häufig mit dem Cannabiskonsum einhergehen. Wird die THC-Dosis hingegen bei gleichzeitiger Limonen-Zufuhr erhöht, so ist im Vergleich zum ersten Fall ein deutlicher Rückgang besagter Nervositäts- und Paranoia-Reaktionen zu beobachten. Kurz gesagt nehmen die Angstgefühle ab, wenn die Limonen-Dosis erhöht wird. Andere Effekte hingegen bleiben gleich, was darauf hindeutet, dass Limonen selektiv auf die angstfördernde Wirkung von THC einwirkt und dieses somit geeigneter für therapeutische Zwecke macht. Terpene sind also ein großartiges Hilfsmittel zur Verbesserung der Behandlungen mit Medizinalhanf dank ihres Potenzials, unerwünschte Effekte zu bekämpfen – und dies insbesondere im Bereich psychische Gesundheit, wie die Studie The "Entourage Effect": Terpenes Coupled with Cannabinoids for the Treatment of Mood Disorders and Anxiety Disorders bestätigt. Dort werden die Vorteile der Nutzung von Terpenen in Behandlungen mit Cannabinoiden bei Depressionen und bipolaren Störungen unterstrichen. Angesichts der starken Nebenwirkungen von angstlösenden Medikamenten und Antidepressiva sowie der erwiesenen positiven Wirkung einer Therapie mit CBD und THC bedeuten die Nachforschungen über neue Behandlungsansätze mit einer Kombination aus Cannabinoiden und Terpenen einen kleinen Hoffnungsstrahl für die Betroffenen, denn sie könnten neue Strategien eröffnen, die ebenso wirksam sind wie herkömmliche opioide Medikamente bei zugleich niedrigerer Dosierung und geringeren Nebenwirkungen.
Wendepunkt im Verständnis von Cannabis
Terpene wirklich zu verstehen kann für moderne Cannabisnutzer entscheidend dabei sein, die für sie richtige oder falschen Sorte zu finden. Etiketten, auf denen das Terpenprofil einer Sorte aufgeschlüsselt wird, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit im legalen Cannabishandel und auch in den Genetik-Katalogen für den Hanfanbau, da sie einen bewussteren Entscheidungsprozess ermöglichen. Je nach dem gewünschten Effekt (z. B. schmerzlindernd oder stimmungsaufhellend) passende Sorten wählen zu können ist ein riesiger Vorteil. Terpene sind also ganz klar weitaus mehr als simple Aromastoffe – sie sind der Schlüssel, um unsere Cannabiserfahrung in ihrer vollen Komplexität verstehen und optimieren zu können.