ZurückViel Bewegung trotz widriger Umstände – Cannabis Züchter in den 90er Jahren
11.08.2023
Obwohl Cannabis der Menschheit schon seit Tausenden von Jahren bekannt ist, waren es vor allem die jüngsten Jahrzehnte, die einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit der Pflanze hervorgebracht haben. Nachdem Cannabis seit der Hippiebewegung in den 60er und 70er Jahren sich immer größerer Beliebtheit erfreute, veränderten sich seit den 90er Jahren zunehmend auch die politischen und sozialen Rahmenbedingungen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die bedeutendsten Akteure und die Entwicklung der wichtigsten Samenbanken und Sorten, ohne die die Vielfalt des heutigen Cannabis-Angebots undenkbar wäre.
Das Klima wandelt sich
Filme wie Reefers Madness zeigen unterhaltsam, wie verkrampft der Umgang mit Cannabis über lange Zeit hinweg war. Während Gras fast das gesamte 20. Jahrhundert über verteufelt wurde, fand ab den 90er Jahren plötzlich gewissermaßen ein Umdenken statt. Die Gründe dafür sind vielfältig und komplex, aber zu den wichtigsten zählen einerseits die medizinische Nutzung von Cannabis, die ersten Überlegungen bezüglich einer Legalisierung und die Entstehung einer Industrie und mit ihr das Erkennen eines großen ökonomischen Potenzials.
Zunehmende wissenschaftliche Betrachtung des Gegenstandes halfen dabei, ein realistisches Bild vom Cannabiskonsum und dessen Einordnung beispielsweise im Vergleich zum Konsum von anderen Drogen wie Alkohol oder Tabak zu zeichnen. Außerdem wurde durch solche wissenschaftlichen Untersuchungen deutlich, wie viele Menschen sowieso schon Cannabis konsumieren.
Medizinische Nutzung und Entkriminalisierung
In verschiedenen klinischen Studien wurde das medizinische Potenzial von Cannabis untersucht und eine Verschreibung auf Rezept wurde etwa in Kalifornien schon Mitte der 90er Jahre eingeführt. Trotzdem war der Verfolgungsdruck für Freizeitkonsumenten noch enorm. Auch andere Länder zogen eine medizinische Legalisierung oder sogar eine für den Freizeitgenuss in Erwägung. In Kanada, Spanien und Australien wurde über einen neuen Umgang mit Cannabis und anderen Drogen diskutiert. Allerdings kam es im Zuge dessen noch nicht zu großflächigen Legalisierungen, lediglich Reformen wurden angestrebt. Vor allem in Holland wurde Cannabis schon in den 70er Jahren entkriminalisiert. Der Besitz kleinerer Mengen wurde nicht mehr strafrechtlich verfolgt und die Einrichtung von Coffee Shops, in denen Cannabis gekauft und konsumiert werden konnte, wurde geduldet. Dennoch blieb der Anbau größerer Mengen Cannabis illegal, was zu einem Beschaffungs-Paradox für die Coffee Shops führte und der sogenannten Hintertür-Problematik: Vorne durfte Cannabis legal verkauft werden. Wie es in den Coffeeshop hereinkam oder woher das Gras und Haschisch bezogen wurde, wurde ignoriert. Entsprechend entwickelte sich ein produktiver Schwarzmarkt, der die Coffeeshops belieferte und das bis heute noch tut - mit allen Nachteilen, wie zum Beispiel gewaltbereiter, organisierter Kriminalität, die eigentlich so gar nicht zur Szene der Cannabis-Liebhaber passt.
USA-Strains in Holland – ein perfekter Nährboden
Auch in Spanien gab es seit den 90er Jahren einen liberaleren Umgang mit Cannabis. Kleinere Mengen für den Eigenbedarf wurden meist nicht mehr strafrechtlich verfolgt und der Anbau für Eigenbedarf sowie der Konsum in Privaträumen wurde geduldet. In den letzten zehn Jahren kamen außerdem Cannabis Social Clubs hinzu, Vereine, in denen die Mitglieder sich gemeinsam um den Anbau der Pflanzen für den Eigenbedarf kümmern.
Durch diese Bewegung, die in ein während langer Zeit illegalisiertes Feld kam, ergaben sich neue Möglichkeiten. Für die Produktion des medizinischen Cannabis konnten einige Züchter unter besseren Bedingungen als zuvor arbeiten. Dadurch wurden zunächst vor allem in Nordamerika einige Meilensteine der Cannabis-Züchtung erreicht. Durch die 90er Jahre hindurch wurden solche neuen Roh-Züchtungen aus Nordamerika nach Holland geschmuggelt, weil in den USA der Verfolgungsdruck für den Freizeitkonsum noch immer sehr hoch war. So entwickelte sich eine USA - Amsterdam-Verbindung der besonderen Art. Amerikanische Grower und Cannabis-Enthusiasten siedelten nach Amsterdam um, und fanden dort die perfekte Infrastruktur, um ihre Strains weiterzuentwickeln. Das wohl prominenteste Beispiel dafür ist Dave Watson alias Sam the Skunkman. Watson wurde in den 80er Jahren in Kalifornien wegen Cannabis-Anbaus verhaftet. Kurze Zeit später reiste er nach Holland aus – angeblich mit einem ganzen Koffer voller geschmuggelter Samen. Unter anderem im Gepäck hatte er Skunk #1, was den Grundstein für viele Kreuzungen der 90er Jahre legte und den ersten Cannabis Cup im Jahr 1988 gewann. In den folgenden Jahren gewannen den Cup viele Züchtungen, die heute regelrechten Kultstatus genießen. Dazu zählen zum Beispiel Northern Lights, Early Pearl, Haze, Jack Herer, White Widow, Peace Maker und Super Silver Haze.
Amsterdam – Sehnsuchtsort der Züchter
Aufgrund der schon damals rechtlich besonderen Situation in den Niederlanden, entstanden dort einige hochkarätige Samenbanken. Ehrgeizige Hanfsamen-Züchter aus der ganzen Welt strömten nach Amsterdam, wodurch sich die Stadt schnell in einen fruchtbaren Nährboden für Cannabis-Innovationen verwandelte. Diese Entwicklung wurde zusätzlich durch das Wissen befeuert, welches es in Holland über die Pflanzenzüchtung unter künstlichem Licht gab. Zu den bekanntesten in dieser Zeit entstandenen Marken zählen Sensi Seeds, Dutch Passion, Green House Seeds, Serious Seeds und Positronics. All diese Samenbanken konnten sich tatsächlich auch bis heute halten. Eine Ausnahme bildet hier Positronics, die in Kooperation mit dem ursprünglichen Gründer Wernand Bruining in Spanien wiederbelebt wurde, nachdem sie in Amsterdam viele Jahre zuvor einen traurigen Niedergang erlitten hatte und Pleite ging. Daneben gab es jedoch viele weitere, die zu jener Zeit wichtige Arbeit geleistet, aber später aufgehört haben. Neben Cultivator’s Choice ist dabei etwa Free City oder The Seed Bank of Holland zu nennen. Letztere wurde von Nevil Shoenmakers gegründet, der einige der herausragendsten Haze-Sorten kreierte. Der Australier hatte ebenfalls verschiedene Genetiken von seinen Reisen nach Amsterdam mitgebracht und sie dort mit hochwertigen Sativas aus dem karibischen Raum gekreuzt. Nach seiner Ankunft in Amsterdam lebte und arbeitete er mit befreundeten Kollegen im sogenannten Cannabis Castle, einer Villa, in der ein hochentwickeltes Labor für die Cannabiszüchtung untergebracht war. Nevil war Teil des Super Sativa Seeds Club, bevor er eben jene Seed Bank of Holland gründete, die später von Sensi Seeds gekauft wurde.
Sensi Seeds wurde bereits 1985 von Ben Dronkers gegründet. Im Folgejahr wurde die Samenbank derselben Marke eröffnet und Sensi Seeds in Sensi Seed Bank umbenannt. Die Firma ist einerseits für Engagement und die Finanzierung von Forschung rund um Cannabis-Themen bekannt und andererseits für die herausragenden Sorten, die das Unternehmen hervorgebracht hat. Zu diesen zählen die legendäre Northern Lights, Jack Herer, Super Skunk, Big Bud und Silver Haze. Doch darüber hinaus gibt es viele weitere Sorten, für die Sensi Seeds bis heute den Ruf eines der fähigsten Breeder überhaupt genießt.
Während Sensi Seeds vor allem für das Engagement und die ikonischen Sorten gefeiert wird, hat die ebenfalls holländische Samenbank Dutch Passion viele technische Errungenschaften vorzuweisen. So waren sie beispielsweise die ersten, die feminisierte Samen hervorgebracht haben und auch später in den 2000er Jahren maßgeblich an der Erschaffung von Autoflowering-Sorten beteiligt waren. Aus dem Hause Dutch Passion stammen populäre Strains wie unter anderem Blueberry oder Orange Bud.
Arjan Roskam und Scott Blakey sind die Gründer von Green House Seeds, die bis zum heutigen Tage sehr beliebt sind. Blakey schuf einzigartige und vielfach preisgekrönte Strains wie White Widow oder Super Silver Haze.
Neben seinem Engagement und der rastlosen Forschung in der Cannabis-Genetik gilt Roskam als einer der Wegbereiter des Cannabis-Tourismus. Dieser Geschäftssinn war es schließlich auch, der dazu beitrug, dass sich unüberwindbare Differenzen zwischen Roskam und Blakey auftaten, die letztlich zum Ausstieg von Blakey führten. Blakey gründete anschließend eine neue Firma, die Mr. Nice Seedbank mit der Kiffer-Prominenz und Namensgeber Howard Marks (aka Mr. Nice), einem der zeitweise wichtigsten Haschisch-Schmuggler der Welt, der im Jahr 2016 im Alter von 70 Jahren verstorben ist.
Roskam hingegen gestaltete das Konzept des Green House Coffee Shops entscheidend mit, welches Touristen und Einheimische gleichermaßen anzog. An dieser Stelle ist auch Henk de Vries zu nennen, der Gründer des legendären Bulldog Coffee Shops, der sich rasch zu einer erfolgreichen Kette entwickelte. Natürlich gibt es darüber hinaus zahlreiche weitere Persönlichkeiten, die in dieser für Cannabis-Züchter sehr bedeutenden Dekade eine wichtige Rolle spielten. Dazu zählen unter anderem Simon Smit, der zunächst für Sensi Seeds arbeitete, an der Gründung von Cerebral Seeds mitwirkte und schließlich sein eigenes Unternehmen Serious Seeds gründete. Sie alle sind der Beweis dafür, dass in den 90er Jahren in Amsterdam eine ganz besondere Mischung von Individuen, Visionen und Fähigkeiten zusammengekommen ist, die zu einem enorm produktiven Umfeld geführt hat.
Ben Dronkers 1996, Gründer von Sensi Seeds
Grundlage für zukünftige Generationen
Bei der unübersichtlichen Marktsituation heute vergisst man leicht, dass viele der Grundsteine in den 90er Jahren von einer kleinen, eingeschworenen Gemeinschaft unter sehr schwierigen Bedingungen gelegt wurden, inklusive zeitweiliger Gefängnisaufenthalte, Diskriminierung und Stigmatisierung. Die damals geschaffenen Sorten vermögen auch heute, rund dreißig Jahre später, noch zu begeistern und beeindrucken. Auch für zukünftige Forschungen und Züchter-Generationen werden diese Grundlagen nicht aufhören, relevant zu sein. Ebensowenig wie für Grower, die noch heute diese Sorten anbauen, konsumieren und zu schätzen wissen.